Guten Tag, Herr Straube! Als Experte und Vorstand der W & L AG für das Thema Grundstücksentwicklung sind Sie seit Jahren damit beschäftigt, Nutzungskonzepte für vorhandene Flächen zu entwickeln. Welche Möglichkeiten bestehen hier grundsätzlich?
Hier stellt sich zunächst einmal die Frage, um was für eine Immobilie es sich handelt. Nehmen wir zum Beispiel ein brachliegendes Grundstück. Hier prüft man die Entwicklungsmöglichkeiten über einen Aufstellungsbeschluss bis zu einem neuen Bebauungsplan zusammen mit der zuständigen Behörde.
Soll ein erschlossenes Grundstück entwickelt oder eine neue fremde Nutzung vorbereitet werden, prüft man, welche Möglichkeiten für eine Aus- bzw. Umnutzung bestehen, z. B. im Rahmen einer Umwidmung von Gewerbeeinheiten in Wohnräume.
Bei bestehenden Immobilien bzw. Gewerbeimmobilien stehen Möglichkeiten für An- und Ausbauten im Fokus. Das können etwa Aufstockungen oder Konzepte für eine effizientere Ausnutzung des vorhandenen Baugrundes sein.
Worauf achten Sie bei einem Grundstück, wenn es um die Realisierung von Entwicklungspotenzialen geht?
Zuallererst sind hier natürlich die Lage und die Ausstattung zu nennen. Hinzu kommen Faktoren wie der Zuschnitt des Grundstücks, die umliegende Bebauung, aber auch die Bevölkerungszusammensetzung und die perspektivische Entwicklung der Infrastruktur. Eine besondere Herausforderung besteht dabei darin, nicht nur künftige Potenziale, sondern auch die Wahrscheinlichkeit zu berücksichtigen, dass die Gemeinde einer Entwicklung zustimmt und der Eigentümer zu einem vertretbaren Preis verkauft.
Um geeignete Objekte zu finden, scannen wir den Markt zunächst systematisch entsprechend unserer Kriterien und suchen manuell mit Tools wie Google Maps nach neuen Grundstücken, die angemessene Entwicklungspotenziale aufweisen. Sobald wir geeignete Objekte gefunden haben, gleichen wir diese mit BORIS und bestehenden Flächennutzungsplänen ab.
Welcher zeitliche Rahmen muss dabei einkalkuliert werden?
Hier kommt es auf die Kommunen, die Verfügbarkeit von Gutachtern und die Merkmale des jeweiligen Grundstückes an.
Zunächst geht es darum, einen gemeinsamen Weg mit der Gemeinde zu finden. Hier spielt vor allem die Frage eine Rolle, welche Entwicklungsziele die Gemeinde verfolgt und welche Anforderungen an die Planung bestehen, damit sie einerseits dem Bedarf, andererseits aber auch den Vorstellungen des Entwicklers und seiner Kalkulation entspricht.
Hat man mit der Gemeinde einen Konsens gefunden und wurde ein Aufstellungsbeschluss für einen neuen B-Plan gefasst, folgen als Nächstes zahlreiche Gutachten. Sie bewerten Faktoren wie die Luftqualität, den Schallschutz, den Verkehr, den Artenschutz, aber auch Erschütterungen des Baugrundes und evtl. vorhandene Altlasten. Die Erhebung all dieser Daten kann ohne Weiteres mehrere Monate in Anspruch nehmen.
Danach geht es in die erneute Abstimmung mit der Gemeinde, bei der die erarbeiteten Konzepte optimiert werden. Dabei prüft man gemeinsam Wünsche und Verbesserungsvorschläge und bezieht Bürger, Anwohner und Nachbarn ein, um am Ende eine genehmigungspflichtige Planung zu erhalten. Diese umfasst unter anderem Wege für Müllabfuhr und Feuerwehr sowie Wasser-, Strom- und Telefonanschlüsse.
Sind die vorbereitenden Prozesse abgeschlossen, erfolgt nach zwei bis drei Jahren die erste Offenlegung des Bebauungsplans für vier Wochen. Werden keine Einwände vorgebracht, erhält er im besten Fall acht bis zwölf Wochen später Rechtskraft. Sollten es doch noch Einsprüche geben, kann eine zweite Offenlage anberaumt werden.
Für den gesamten Prozess vom ersten Entwurf bis zum rechtskräftigen B-Plan vergehen üblicherweise zwischen drei und fünf Jahren.
Im Interview: Immobilienexperte Christoph Straube von der W & L AG, Bildquelle: W & L AG
Wie sieht der Grundstücksmarkt aktuell aus?
Aktuell ist es schwierig, geeignete Grundstücke zu finden. Um ein braches Grundstück mit soliden Entwicklungspotenzialen zu entdecken, braucht man einerseits viel Glück oder aber die Unterstützung unseres Ventures „Propertunity.ai“, das sich gerade in der Entwicklung befindet. Es kombiniert die Immobilien- und Grundstückssuche mit künstlicher Intelligenz.
Propertunity.ai nutzt einen speziellen Algorithmus, der KI-Expertise und umfassendes Immobilienentwicklungs-Know-how umfasst. Das System analysiert mittels einer Postleitzahlensuche eine Vielzahl von Grundstücken und filtert infrage kommende Flächen heraus. Dabei greift es auf öffentliche Datenquellen mit Informationen zur Flächennutzung, zu Bebauungsplänen und zu Infrastrukturdaten zurück, die im Hintergrund ausgewertet werden.
Mit Ihrem Unternehmen übernehmen Sie nicht nur Grundstücksentwicklungen, sondern seit einiger Zeit auch komplette Projektentwicklungen. Was hat Sie zur Erweiterung Ihres Leistungsportfolios bewogen?
Bei der reinen Grundstücksentwicklung handelt es sich um einen sehr langwierigen Prozess, der bis zu fünf Jahre in Anspruch nehmen kann. Trotz mehrerer parallel laufender Entwicklungen waren wir nicht komplett ausgelastet und nach einigen Verkäufen der entwickelten Grundstücke auch ein wenig bedrückt, nicht mehr live dabei zu sein, wenn die mit so viel Liebe entwickelten Projekte entstehen und am Ende dem Käufer übergeben werden.
In diesen Situationen fühlten wir uns an die Spannung unseres ersten Bauträgerprojekts 2012 zurückerinnert. So entwickelten wir unser Team und unser Partnernetzwerk weiter und realisieren nun auch wieder spannende Projekte von Anfang bis Ende. Hierzu gehören zum Beispiel unsere aktuellen Vorhaben – ein Ärztezentrum in Koblenz mit rund 11.000 m² BGF und ein Neubau mit knapp 50 Wohnungen im Zentrum von Mannheim.
Lassen Sie uns zum Abschluss des Gesprächs noch einen Ausblick in die Zukunft wagen. Welche gesetzlichen und politischen Entwicklungen werden für Grundstücksentwickler künftig von Bedeutung sein?
An erster Stelle ist hier natürlich der Ukraine-Krieg zu nennen, der bereits heute weitreichende globale Folgen hat.
Neben den damit verbundenen Preissteigerungen und der eingeschränkten Rohstoffverfügbarkeit muss man auch die weitere Entwicklung der Zinsen im Auge behalten. Folgt die EZB dem Beispiel der FED, ist mit erheblichen Auswirkungen auf die Nachfrage und die Art und Weise künftiger Objektentwicklungen zu rechnen.
Von Bedeutung sind weiterhin die verschiedenen Zuschüsse und Förderprogramme des Staats. So erhalten Investoren etwa Unterstützung bei energieeffizientem Sanieren, altersgerechten Umbauten und der Umstellung auf erneuerbare Energien. Je nachdem, welche Hilfen vom Bauträger in Anspruch genommen werden, kann sich dies auf das Vorhaben und auf die beim Bau verwendeten Materialien auswirken.
Dabei blicken wir mit Sorge auf die aktuelle Entwicklung, das Bauvorhaben für den Endverbraucher kaum noch attraktiv und damit umsetzbar sind. Denn was hat ein Käufer von einem Zuschuss, wenn er das Doppelte aufwenden muss, um ihn überhaupt in Anspruch nehmen zu dürfen?
Welche Ziele haben Sie mit Ihrem Unternehmen in den nächsten 10 Jahren?
Dazu gehören weitere Bestandszukäufe zur Steigerung unseres Cashflows und die Reduzierung des Fremdkapitalanteils zur Senkung unserer Finanzierungskosten und unseres Finanzierungsrisikos im Rahmen unserer Finanzplanung.
Darüber hinaus freuen wir uns auf alle kommenden spannenden Großprojekte und die damit verbundenen Herausforderungen.
Dann wünschen wir Ihnen für die Zukunft alles Gute und danken Ihnen für das informative Gespräch.