„Augmented Reality“ zwischen Kuhställen und Maisfeldern

Verfasst von Roul Radeke. Zuletzt aktualisiert am 29 Januar, 2024
Lesezeit Minuten.
Mitten in der niederbayerischen Pampa hat die ARaction GmbH ihren Firmensitz. Dort entwickelt sie eine völlig neuartige Software, die die Grenzen zwischen analoger Realität und digitaler Welt verschwimmen lässt. Im Interview erklärt Firmengründer Matthias Lindner, wie ein kleines bayerisches Unternehmen antritt, um die Zukunft der Welt mitzugestalten.  

ARaction arbeitet an einer Augmented Reality Software. Wofür steht dieser Begriff genau?

Augmented Reality (AR) ist eine Technologie mit den virtuellen Elementen möglichst realistisch in die physische Welt eingefügt werden. Ziel ist es dabei mit Hilfe digitaler Technik eine möglichst perfekte Illusion herzustellen. Die Realität wird also so „erweitert“, dass wir das AR-Erlebnis als real wahrnehmen: Wenn Sie durch Ihr Smartphone oder eine AR-Brille einen lebendigen Dinosaurier in einem Museum stehen sehen und Angst haben, aufgefressen zu werden, hat ARaction etwas richtig gemacht. (lacht)

Wie würden Sie Digital Reality definieren?

„Digital Reality“ wird meistens als weiterer Sammelbegriff für die Prozesse der Digitalen Transformation, Industrie 4.0, Internet of Things, Connected Mobility und so weiter verwendet. Für mich bedeutet „Digitale Realität“ aber mehr: da steckt der lateinische Begriff „realitas“ drin – das bedeutet „Wirklichkeit“. Wir sprechen also über die Gestaltung unserer Lebenswirklichkeit, über die Frage: „Wie wollen wir im digitalen Zeitalter eigentlich zusammenleben?“

Was ist Dein Top-Tipp für andere Existenzgründer?

Vergiss‘ die alten Denkmuster: Wir sind alle in einer Geschäftswelt erzogen worden, die nach der Regel „Predict & Control“ arbeitet. Das heißt, wir versuchen zwanghaft, Prozesse vorherzusehen und zu kontrollieren. Dabei gilt dann meist das Prinzip „Fressen oder gefressen werden“ – das berühmte Haifischbecken eben.

All das ist sowas von 20. Jahrhundert! Es funktioniert in Zeiten rasanter technologischer Veränderungen nicht mehr, da die Prozesse viel zu komplex geworden sind. Kreative, agile Entwicklungsprozesse kann man nicht mit Kontrolle und hierarchischen Macht-Mechanismen steuern. Der Führungsstil der Zukunft lautet „Sense & Respond“. Dazu gehören vor allem Empathie und Vertrauen – sich selbst und allen Stakeholdern gegenüber.

Vertrauen klingt ja nett – aber was, wenn das Gegenüber dieses Vertrauen ausnutzt?

Ich spreche hier nicht von einer blinden, naiven Form des blauäugigen Vertrauens, nach der Devise „wird schon alles gut gehen“. Doch wenn ich mit einem neuen Menschen zusammenarbeiten möchte, braucht es immer einen Vertrauensvorschuss. Dabei ist es wichtig, über Motivationen zu reden: Warum wollen wir zusammenarbeiten? Was treibt uns an? Wenn diese Basis passt, und die Erwartungen geklärt sind, kann jeder im Team sein volles Potential entfalten. Natürlich kann das auch mal schief gehen, und Erwartungen werden nicht erfüllt. In diesem Fall ist es die Aufgabe des Unternehmers, Feedback zu geben und in persönlichen Gesprächen die Hintergründe zu erforschen. Das kostet Zeit und Energie aber für mich haben die Lösung von Konflikten und gelingende Beziehungen in meinem Unternehmen oberste Priorität. Das ist manchmal anstrengend und kann sehr persönlich werden – doch ich bin davon überzeugt: Es würde mich viel mehr kosten zu versuchen, die Menschen zu kontrollieren. Übrigens sehen das auch immer mehr große Unternehmen so und fangen an, ihre Organisationen komplett umzubauen! Wer mehr darüber wissen will, sollte unbedingt das Buch „Reinventing Organisations“ von Frederic Laloux lesen.

Was waren Ihre drei größten Herausforderungen in der Startphase?

Da ging es uns wohl wie jedem Startup: Geld, Team, Aufträge. Diese drei Themen müssen gleichzeitig organisiert werden und parallel passiert natürlich die Entwicklung des Produktes und viel administratives Zeug. Das ist viel auf einmal. Wo soll man da anfangen? Mein Tipp: Mach alles, was mit Menschen und deinem Kernprodukt zu tun hat, zuerst – und zwar mit voller Energie und Begeisterung. Dann erledige das, was sonst noch an administrativen Aufgaben gemacht werden muss – hier reichen aber oft auch 80% um voran zu kommen.

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Wir vermessen Räume in Echtzeit mit 3D-Scanning-Technologie (Tango und ARCore), ar-action.de

Was ist Ihr Geschäftsmodell?

Unsere ARaction Software ist ein so genanntes „Authoring Tool für Augmented Reality“, also eine Software mit der ein Designer oder ein technikaffiner Laie komplexe AR-Erlebnisse vor Ort erstellen kann. Das Besondere daran ist: Mit ARaction kann man raumfüllende AR-Erlebnisse bauen, ohne eine Zeile Code zu schreiben! Unsere Software ist immer dann interessant, wenn Sie für Tango oder ARCore Smartphones (zukünftig auch für die HoloLense) AR-Präsentationen im Raum erstellen wollen. Wir können also sehr effizient eine Vielzahl von Use Cases abdecken, beispielsweise Indoor-Navigation, interaktive 3D-Avatare erschaffen, die durch ganze Ausstellungen führen, Videos an Wände „projizieren“, interaktive HTML-Anwendungen in AR einbinden etc.

Neben der Softwareentwicklung ist unser zweites Standbein ein umfassender Konzeptions- und Designservice für AR-Präsentationen. Der Kunde kann also frei entscheiden, ob er nur die Software bei uns kauft, oder das komplette AR-Erlebnis – vom Storyboard bis zu den animierten 3D-Modellen – bei uns machen lässt.

Der Firmensitz von ARaction ist in Niederbayern – warum haben Sie sich für diesen Standort entschieden?

Gute Frage, wir machen ja quasi „Augmented Reality“ zwischen Kuhställen und Maisfeldern. Für uns ist das kein Widerspruch: Unsere Aufgabe ist es ja, Brücken zu bauen zwischen analog und digital, alt und neu, Tradition und Moderne. Es muss daher nicht immer das Silicon Valley sein – und manchmal findet man hier auf dem Land Unterstützung, mit der man gar nicht gerechnet hätte. Zum Beispiel wird in meiner Geburtsstadt Eggenfelden derzeit das digitale Innovationszentrum RegioLAB geplant, ein vom Bund gefördertes „Nationales Projekt des Städtebaus“. Für uns als regionales Unternehmen in der Digitalisierungsbranche ist das natürlich eine spannende Geschichte und wir unterstützen das Projekt sehr gerne. Abgesehen davon sind wir natürlich schon auch viel in Städten wie München, Regensburg und Wien unterwegs, wo wir Kooperationen und Kundenprojekte organisieren.

Wo soll ARaction in 5 Jahren stehen?

ARaction wird in fünf Jahren viele beeindruckende AR-Projekte umgesetzt haben, bei denen dem Publikum die Münder offen stehen bleiben. Wenn die Leute sagen, „Wow, ich dachte, sowas geht nur auf dem Holodeck von Star Trek!“, haben wir unser erstes Ziel erreicht.

Bei aller Technikbegeisterung ist uns aber eines sehr wichtig: Digitalisierung zu planen, ohne soziale Fragestellungen mit zu beantworten, ist zum Scheitern verurteilt. Digitalisierung verändert Leben, Arbeitsplätze und die ganze Gesellschaft. Unternehmer und Politiker haben hier die Chance, mit ganzheitlichen Lösungen voranzugehen. In Österreich und im Vinschgau gibt es ja bereits sogenannte „Gemeinwohlgemeinden“, die den Menschen und alle Lebewesen in den Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten stellen. Vielleicht gibt es in Bayern ja bald die erste „Digitale Gemeinwohlgemeinde“ die das Schlagwort „Digital Sustainability“ in die Praxis überführt. Das fände ich super spannend! Unser Anspruch bei ARaction ist es also, nicht nur ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen, sondern im positiven Sinne auch Politik zu machen: Wir wollen die Zukunft der Welt mitgestalten.

Herzlichen Dank für das Interview! Wir wünschen Dir weiterhin viel Erfolg und freuen uns jetzt schon darauf Neues von Dir und ARaction zu hören!


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Roul Radeke ist Gründer und Geschäftsführer von Selbststaendigkeit.de. Das Onlineportal bietet Existenzgründern und Unternehmern News aus der Gründer- und Unternehmerszene, hilfreiches Wissen für die Gründung und Führung von Unternehmen, geförderte Existenzgründungsberatung (AVGS-Coaching) sowie digitale Produkte für die Selbstständigkeit.

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